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Pierre Bourdieu

  Die Überlebenschancen der Kultur.

 
 

pierre bourdieu
Von Pierre Bourdieu, Tages Anzeiger, 08.12.99. [Traduction française]

 
  

 

Grosse Werke konnten nur entstehen, weil sich deren Schöpfer von der reinen Profitlogik abkoppelten. Gedanken zur Macht von Markt und Medien und zum Widerstand der Kultur.
Pierre Bourdieu ist Frankreichs renommiertester Soziologe. Seit 1981 ist er Professor am Collège de France. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen zählen "La Distinction" (1979; "Die feinen Unterschiede") und "La misère du monde" (1993), mit dem er sich als harscher Kritiker des Neoliberalismus hervortat. (sih)

st es heute noch möglich, und wie lange wird es noch möglich sein, von kulturellen Tätigkeiten und von Kultur überhaupt zu reden? Mir scheint die gegenseitig sich steigernde Logik der Geschwindigkeit und des Gewinns, die im Streben nach grösstmöglichem kurzfristigem Profit zum Ausdruck kommt - wie in den Einschaltquoten beim Fernsehen, in den Verkaufszahlen im Buchhandel und Zeitungswesen und in den Besucherzahlen für neue Filme -, unvereinbar mit der Idee der Kultur. Wenn, wie Ernst Gombrich sagte, die "Umweltbedingungen der Kunst" zerstört werden, folgen ihnen Kunst und Kultur auf dem Fusse.

pointg.gif (57 octets) Ich erinnere an das, was mit dem italienischen Kino geschehen ist, das ehemals eines der besten der Welt war und heute durch eine Handvoll Filmemacher überlebt, an das deutsche Kino oder den osteuropäischen Film. Oder an die Dauerkrise des Autorenfilms, dem die Vertriebswege abhanden gekommen sind, wie auch an das Schicksal des Kulturradios, das heute mehr und mehr liquidiert wird, im Namen der Modernität, der Einschaltquoten und eines heimlichen Einverständnisses mit der neuen Medienwelt.

Vorherrschaft der grossen Verleiher.

pointg.gif (57 octets) Aber man versteht nicht wirklich, was die Degradierung der Kultur zu einer Handelsware bedeutet, solange man sich nicht daran erinnert, wie die Universen der Kulturproduktion entstanden sind, die wir auf dem Gebiet der bildenden Künste, der Literatur oder des Films als allgemeingültig ansehen. All diese Werke, wie sie heute in den Museen ausgestellt werden, all die literarischen Schöpfungen, die für uns zu Klassikern geworden sind, alle Filme, die in den Filmarchiven aufbewahrt werden, sind das Ergebnis der kollektiven Arbeit sozialer Universen, die sich erst allmählich und dadurch entwickelt haben, dass sie sich von den Gesetzen der alltäglichen Welt zu lösen wussten und insbesondere von der Logik des Profits.

pointg.gif (57 octets) Um dies verständlich zu machen, möchte ich ein Beispiel anführen: der Maler des Quattrocento musste sich - man weiss das auf Grund erhaltener Verträge - gegen seine Auftraggeber durchsetzen, um sein Werk nicht als schlichte Ware behandelt zu wissen, bewertet nach ihrer Grösse und dem Preis der verwendeten Farben; er musste um das Recht kämpfen, das Werk signieren zu dürfen, das Recht also, wie ein Autor behandelt zu werden, Rechte, die man erst seit kurzem als Autorenrechte bezeichnet (und für die auch schon Beethoven gestritten hatte); er musste für Einzigartigkeit, den Wert dieses Werkes fechten, zusammen mit Kritikern, Biografen, einer spät entstandenen Kunstgeschichte, um sich als Künstler, als "Schöpfer" durchzusetzen.

pointg.gif (57 octets) Dies alles ist heute bedroht, in einer Zeit, in der das Kunstwerk nur noch als Ware wahrgenommen wird. Die gegenwärtigen Kämpfe der Filmemacher um ihr Recht auf den Final Cut und gegen den Anspruch des Produzenten, die letzte Entscheidung über das Werk zu fällen, sind das genaue Gegenstück jener Kämpfe der Maler des Quattrocento. Es waren fast fünfhundert Jahre nötig, um das Recht auf freie Auswahl der Farben zu erobern, die Art ihrer Verwendung, schliesslich, ganz zu Ende, das Recht, ihren Gegenstand frei wählen zu können - indem man ihn, wie in der abstrakten Kunst, verschwinden liess, sehr zum Ärger der bürgerlichen Auftraggeber. Ebenso bedurfte es für die Entwicklung des Autorenkinos eines ganzen sozialen Universums, kleiner Vorführungssäle und Cinematheken, die "klassische" Filme zeigten und vor allem von Studenten aufgesucht wurden, Filmclubs, die von begeisterten Philosophielehrern ins Leben gerufen wurden, sachkundiger Kritiker wie in den Cahiers du cinéma, schliesslich Filmemacher, die ihren Beruf dadurch erlernten, dass sie Filme und immer wieder Filme sahen, die sie dann in den Cahiers besprachen. Ein ganzes soziales Milieu war nötig, in dem ein bestimmtes Kino seinen Wert und seine Anerkennung finden konnte.

pointg.gif (57 octets) Es sind eben diese sozialen Universen, die heute durch das Vordringen des kommerziellen Kinos und die Vorherrschaft der grossen Verleiher bedroht sind, Verleiher, mit denen jeder Produzent, ausser wenn er selbst einer ist, immer rechnen muss: Am Ende einer langen Evolution sind sie heute in einer Involution, einer Rückbildung begriffen, einer Rückkehr zu früheren Zuständen, des Werkes zur Ware, des Autors zum Ingenieur, der alle technischen Möglichkeiten ausschöpft, spektakuläre Spezialeffekte aneinander reiht, dann die einschlägigen Stars verpflichtet, alles äusserst kostspielig, um die unmittelbaren Erwartungen des Zuschauers einzuschwören oder zu befriedigen (die man oft mit Hilfe anderer Techniker, den Spezialisten des Marketings, vorwegzunehmen versucht).

Was tun?

pointg.gif (57 octets) Die Wiedereinführung der Herrschaft des "Geschäfts" in Universen, die erst allmählich und gegen sie entstanden sind, heisst, die grossartigsten Schöpfungen der Menschheit, Kunst, Literatur, selbst die Wissenschaft in Gefahr zu bringen. Ich denke nicht, dass dies tatsächlich irgendjemand wollen kann. Deshalb habe ich an die berühmte Formel Platons erinnert, dass "niemand böse aus reinem Willen" sei. Wenn es wahr ist, dass die Mächte der Technologie, im Verbund mit den Mächten der Ökonomie, dem Gesetz des Profits und der Konkurrenz die Kultur bedrohen, was kann man tun, um dieser Bewegung entgegenzuwirken? Was kann man tun, um diejenigen zu stärken, die nur auf lange Sicht bestehen können, jene, die, wie die Impressionisten, für einen zukünftigen Markt arbeiten?

pointg.gif (57 octets) Ich würde Sie gerne davon überzeugen, dass das Streben nach grösstmöglichem und kurzfristigem Gewinn nicht notwendig, wenn es sich um Bilder, Bücher oder Filme handelt, heissen muss, einer Logik des wohlverstandenen Interesses zu folgen. Das Streben nach maximalem Profit mit dem Versuch gleichzusetzen, ein maximales Publikum zu erreichen, heisst Gefahr zu laufen, ein gegenwärtiges Publikum zu verlieren, ohne ein anderes gewinnen zu können - ein verhältnismässig begrenztes Publikum von Leuten zu verlieren, die viel lesen, Museen, Theater und Kinos besuchen, ohne dauerhaft neue Leser oder Zuschauer zu gewinnen.

Mikrokosmos der Produzenten

pointg.gif (57 octets) Wenn man weiss, dass, zumindest in allen entwickelten Ländern, Dauer und Ausmass der Schulbildung und das Bildungsniveau insgesamt immer noch ansteigen und damit auch all die Praktiken in Kraft bleiben, die eng damit in Zusammenhang stehen, könnte man auch daran denken, dass sich eine Politik der ökonomischen Investitionen in Kulturproduzente und in Kulturprodukte, die alle nötigen "Qualitätsmerkmale" aufweisen, zumindest mittelfristig, und selbst in ökonomischer Hinsicht, auszahlen müsste.

pointg.gif (57 octets) Und deshalb geht es auch nicht um die Wahl zwischen "Globalisierung", das heisst Unterwerfung unter die Gesetze des "Geschäfts", die Herrschaft des "Kommerziellen", die immer Widersacherin dessen ist, was man fast überall unter Kultur versteht, und einer Verteidigung der nationalen Kulturen oder dieser oder jener Erscheinung eines kulturellen Nationalismus oder Regionalismus.

pointg.gif (57 octets) Der Kitsch aus der kommerziellen "Globalisierung" - Jeans, Coca-Cola oder Soapopera - oder der kommerzielle Grossfilm mit seinen Spezialeffekten oder auch die "world fiction" stehen überall den Schöpfungen der literarischen, künstlerischen oder filmischen Internationale entgegen, deren Hauptstadt in keiner Hinsicht - selbst wenn Paris es lange Zeit war und vielleicht immer noch ist - den Hort einer nationalen Tradition des künstlerischen Internationalismus meint, ebensowenig wie London oder New York. Denn wie Joyce, Faulkner, Kafka, Beckett oder Gombrowicz - Iren, Amerikaner, Tschechen oder Polen - in Paris geprägt wurden, ebenso würde es eine Vielzahl von zeitgenössischen Filmemachern wie Kaurismäki, Manuel de Oliveira, Satyajit-Ray, Kieslowski, Woody Allen, Kiarostami und viele andere nicht so geben, wie es sie gibt, ohne eben jene literarische, künstlerische und filmische Internationale, deren sozialer Sitz in Paris steht - zweifellos, weil dort, aus rein historischen Gründen, ein Mikrokosmos der Produzenten und Rezipienten, der zu seinem Überleben nötig war und der einer langen Entwicklung bedurfte, nur so überleben konnte.

Widerstand der Kultur

pointg.gif (57 octets) Es waren, ich wiederhole es, mehrere Jahrhunderte erforderlich, um jene Produzenten hervorzubringen, die für spätere Märkte produzieren. Es heisst, die Frage falsch zu stellen, wenn man, wie es heute oft geschieht, der "Globalisierung", die man auf der Seite der kommerziellen und ökonomischen Macht verortete oder auch auf der des Fortschritts und der Modernität, einen Nationalismus gegenüberstellte, der an den archaischen Formen der Bewahrung von kultureller Souveränität hängt. Denn tatsächlich geht es hier um einen Kampf zwischen einer kommerziellen Macht, die darauf gerichtet ist, auf die ganze Welt jene partikulären Interessen des "Geschäfts" und derer, die es beherrschen, auszudehnen, und einem Widerstand der Kultur, der auf der Verteidigung jener Allgemeingültigkeit der kulturellen Werke beruht, die von der staatenlosen Internationalen ihrer Schöpfer hervorgebracht werden.

pointg.gif (57 octets) Man erzählt, dass Michelangelo im Umgang mit seinem grossen Auftraggeber, Papst Julius dem Zweiten, so wenig auf protokollarische Formen Rücksicht nahm, dass dieser immer darauf bedacht war, sich so schnell wie möglich zu setzen, um Michelangelo zuvorzukommen. Es gilt heute, diese von Michelangelo begonnene Tradition fortzusetzen, eine Tradition der Distanz gegenüber der weltlichen Macht und vor allem jenen neuen Mächten, die sich heute in der vereinten Macht von Geld und Medien verkörpern.
    

  

Pierre Bourdieu

   
 

   
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